V. Wird die Existenz der drei genannten Rechte der Ostdeutschen durch völkerrechtliche Verträge beeinträchtigt, deren Inhalt diesen Rechten widerspricht?

 

Völkerrechtliche Verträge sind jedenfalls insoweit, als derartige Widersprüche bestehen, nichtig, und zwar auf Grund der Wiener Konvention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge vom 23.  Mai 1969.

 

Die Wiener Konvention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge vom 23. Mai 1969 

        Texte.

 

Art 49 Betrug.  Ist ein Staat durch das betrügerische Verhalten eines anderen Verhandlungsstaats zum Vertragsabschluß veranlaßt worden, so kann er geltend machen, daß seine Zustimmung, durch den Vertrag gebunden zu sein, wegen des Betrugs ungültig sei.

 

Art. 52 Zwang gegen einen Staat durch Drohung mit oder Anwendung von Gewalt. Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluß durch Drohung mit oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde.

 

Art. 53 Verträge in Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens).  Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht.  Im Sinne diese Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.

 

Art. 64 Entstehung einer neuen zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens).  Entsteht eine neue zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts, so wird jeder zu dieser Norm im Widerspruch stehende Vertrag nichtig und erlischt.

 

    Erläuterungen:

Diese Konvention regelt ausschließlich die Verhältnisse bezüglich der internationalen Verträge zwischen Staaten.  Sie ist erst am 27.  Januar 1980 (voll) in Kraft getreten, nachdem 35 Staaten durch Beitritt oder Ratifikation Partei dieser Konvention geworden sind.  Doch ist sie von der Staatenwelt auch schon vor Abschluß des Ratifikationsverfahrens als verbindliches Recht betrachtet worden.

 

Nach Art. 49 kann ein Staat, der durch betrügerisches Verhalten eines anderen Staates zum Vertragsabschluß veranlaßt worden ist, geltend machen, daß seine Zustimmung zum Vertrag wegen Betrugs ungültig sei.

 

Nach Art. 52 ist ein Vertrag nichtig, wenn sein Abschluß durch Drohung mit Gewalt unter Verletzung der in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt worden ist.

 

Es könnte die Meinung vertreten werden, daß der Vertrag von Versailles vom 28.  Juni 1919 gemäß Art. 49 ungültig oder gemäß Art. 52 nichtig sei.  Dieser Vertrag war zum einen durch Betrug zustande gekommen.  Das Deutsche Reich hatte auf Grund der Bedingungen des Waffenstillstands-Vorvertrages vom 5. November 1918, der als Vertragsgrundlage das Selbstbestimmungsrecht der Völker enthalten hatte, die Waffen niedergelegt, doch war anschließend - sowohl im Waffenstillstandsvertrag vom 11.  November 1918 als auch im Friedensvertrag vom 28.  Juni 1919 von den Bedingungen des Waffenstillstands-Vorvertrages keine Rede mehr.  Sodann aber war der Vertrag auch durch Drohung mit Gewalt zustande gekommen.  Die Feindmächte hatten angedroht, bei Nichtannahme desselben die Hungerblockade fortzusetzen und das Reichsgebiet militärisch zu besetzen.  Gegen eine solche Berufung auf die Artikel 49 und 52 spricht jedoch der Art. 4, der, wenn auch in einer recht verklausulierten Sprachform, zum Ausdruck bringt, daß die Konvention nur auf Verträge Anwendung finden soll, die abgeschlossen worden sind, nachdem die Konvention für die abschließenden Staaten In Kraft getreten ist.

 

Gemäß Art. 53 ist ein Vertrag nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht.  Eine zwingende Norm ist eine solche, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird und von der nicht abgewichen werden darf.  Eine solche zwingende Norm ist heute das Selbstbestimmungsrecht der Völker.  Diese Norm ist spätestens mit dem Inkrafttreten der internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.  Dezember 1966 zu einer zwingenden geworden, also, wie anderen Orts ausgeführt, spätestens am 3. Januar bzw. 23.  März 1976.  In den Zeiten davor dürfte dagegen dieser Norm nur der Charakter einer politischen Absichtserklärung zugekommen sein.  Allein auf den Art. 53 kann daher eine Behauptung der Nichtigkeit der in den Zeiten zuvor zum Nachteil des Deutschen Reiches abgeschlossenen Verträge nicht gestützt werden.

 

Art. 64 spricht dagegen aus, daß jeder zu einer zwingenden Norm im Widerspruch stehende Vertrag nichtig ist und erlischt, wenn eine neue zwingende Norm des Völkerrechts entsteht.  Eine solche neue zwingende Norm ist diejenige vom Selbstbestimmungsrecht der Völker.  Es ist hier ausdrücklich von jedem Vertrag die Rede, unabhängig vom Datum seines Zustandekommens.  Der Art. 64 schafft mithin eine Ausnahmeregelung vom Prinzip des Art. 4, der aussagt, daß die Konvention nur auf Verträge anzuwenden ist, die nach Inkrafttreten derselben abgeschlossen werden.  Art. 64 eröffnet mithin die Möglichkeit, sich auf die Nichtigkeit aller nachteiligen Verträge aus der Vergangenheit zu berufen.  Andererseits kann aber auch nicht durch Berufung auf diese Norm, also vorliegendenfalls auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sozusagen das politische Geschehen bis in beliebige geschichtliche Zeiträume hinein berichtigt werden.  Vielmehr kann sich auch diese Norm nur auf einen überschaubaren Gegenwartszeitraum erstrecken.  Dieser Zeitraum dürfte aber jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt zurückreichen, als die betreffende heutige zwingende Norm des Völkerrechts erstmals als politische Absicht von Regierungen maßgebender Staaten erklärt worden ist.  Dies war die Jahreswende von 1917 zu 1918.  Es handelt sich hierbei um die bereits genannten Erklärungen der Sowjetregierung, über die Rechte der Völker Rußlands vom 17.  November und vom 22.  Dezember 1917 sowie um die Erklärungen des amerikanischen Präsidenten Wilson vom 11.  Februar und vom 4. Juli 1918.

 

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