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Tempelchen

 

Am Stadtrand von Grünberg liegt ein Park. Auf verwilderten, leicht ansteigenden   Wiesen stehen Linden und Eichen, deren Bestimmung es einst war,  die darunter Einherwandernden vor der sommerlichen Hitze zu schützen. Zur Zeit aber wandert niemand einher unter den alten Bäumen. Es ist still hier und leer von Menschen.

 

Am oberen Ende des Parkes steht ein Tempelchen.  Eine halbkreisförmige Wand trägt eine runde Kuppel. Diese Wand wird an beiden Seiten durch eine oben waagerecht abgeschlossene Säulenreihe fortgesetzt. Neben dem Tempelchen steht eine helle Marmortafel auf einem Sockel.

Hier mögen sich einst zur ersten Annäherung der Geschlechter die Grünberger Jugendlichen getroffen haben. Hier konnte man sich besinnen nach den Aufregungen und Mühen des Tages.

 

Da die jetzigen Einwohner von Grünberg offenbar keinen Bezug haben zu diesem Orte der Beschaulichkeit, wuchert nun hier kniehoch  das Kraut, ist die Wand des Tempelchens voller Risse und Flecken. Auf der Marmortafel, die vielleicht einmal die Namen von Grünberger Honoratioren trug, oder welche zum Gedenken an  Kriegsgefallene der Stadt aufgestellt worden war, auf dieser alten Gedenktafel sind  alle Namen und Worte bis zur Unleserlichkeit abgeschliffen.

 

Kann man die, welche in diesem Tempelchen ihre Freuden hatten, aus ihrem einstigen Dasein drängen, indem man den Ort ihrer Freuden dem Verfall überläßt? Kann man Tote aus ihrem gelebten Leben stoßen, indem man ihre Namen von Gedenktafeln schmirgelt wie Unebenheiten von einem rauhen Stein?

 

Ich spüre sie doch noch in der reglosen Mittagshitze, die, welche hier einst waren. Ich spüre ihre Sehnsucht, ihre Wünsche, ihre Gedanken. Und ich fühle den bedauernden Spott, mit dem sie nun auf die Derzeitigen herabschauen, welche in kindischer Hilflosigkeit meinen, etwas, was einmal war und deshalb nicht wieder vergehen kann, durch Nichtbeachten, durch Abschmirgeln zum Vergehen zu bringen. Nach  einer kleinen Zeit werde auch  ich von diesem Ort, von diesem Grünberger Tempelchen, fort gegangen sein.    Gibt es eine Macht auf der Welt, welche imstande wäre, ungeschehen zu machen, daß   I c h  hier war? Irgendwann werde ich überhaupt nicht mehr da sein in dieser Welt. Wer wollte mir dann das Leben nehmen, das ich einmal hatte?

 

Alles, was war, erscheint uns doch nur vergangen, weil wir es nicht mehr sehen. In Wirklichkeit  hat  das Vergangene eine unvergängliche,  eine ewige Form angenommen und ist dem Zugriff der jeweils Lebenden  für immer entzogen.

Ist es so? Es ist so!

 

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