Die Rechtswidrigkeit von Massenvertreibungen

Das Urteil eines französischen Juristen

Herausgegeben vom Göttinger Arbeitskreis
1959

 


 

Titel des französischen Originals:

Raymond de Geouffre de la Pradelle
Avocat à la Cour d'Appel de Paris
"Le Problème de la Silésie et le Droit"
Les Éditions Internationales, Paris, Rue Saint-André-des-Arts (VIe), 1958.

Veröffentlichung des Göttinger Arbeitskreises Nr. 212

 


 

Inhalt:

 

Vorwort des Herausgebers

S. 5

Eine Völkerwanderung ohne Beispiel

S. 8

Die deutsche Geschichte Schlesiens

S. 10

Austreibungen begannen vor Potsdam

S. 15

Flagrante Verletzung der Menschlichkeit

S. 19

Verstoß gegen das Naturrecht

S. 25

Keine Rechtfertigung durch positives Recht

S. 28

Manifestation der Gewalt

S. 30

 


 

Druck: Gebr. Wurm G.m.b.H., Göttingen

 


 

Vorwort

Diese Studie des angesehenen französischen Juristen RAYMOND DE GEOUFFRE DE LA PRADELLE wird hier in deutscher Übersetzung vorgelegt. Damit wird einer Dankespflicht entsprochen, die alle Deutschen und voran die Heimatvertriebenen dieser Persönlichkeit gegenüber zu erfüllen haben. Zugleich ist die Abhandlung aber von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung, da sie das Recht als Ordnungsprinzip der westlichen Welt zu bewahren sucht.

Der Titel der französischen Originalausgabe wurde für diese deutsche Ausgabe verändert und allgemeiner gefaßt, also nicht allein auf Schlesien bezogen. Wohl erstrecken sich die kurzen historischen Ausführungen nur auf wesentliche Vorgänge der schlesischen Geschichte. Sie sind aber auch beispielhaft für die ostdeutsche Vergangenheit überhaupt. Den entscheidenden Darlegungen des Autors, die den Vorgang von Massenvertreibungen mit dem Recht konfrontieren, kommt sogar — über die für Deutschland entstandenen Probleme hinaus — eine weltweite und für die Zukunft der Menschheit grundlegende Bedeutung zu. Denn nur die Beseitigung des an den ostdeutschen Menschen begangenen Unrechts kann die ungeheure Gefahr bannen, daß Massenvertreibungen für alle Zukunft und überall zu einem Mittel der Politik werden, durch das bestehende Differenzen vermeintlich zu beseitigen wären.

So geht es dem französischen Autor unverkennbar darum, die Vorgänge im östlichen Deutschland vom Recht her und in einer Weise zu beleuchten, die das Geschehen nicht nur als erschreckende Tragik für die Betroffenen und für alle Deutschen, sondern auch als eine unübersehbare Gefährdung der westlichen Ordnungsprinzipien begreifen läßt. An diesen werden die Vertreibungen gemessen, die so oft beschönigend nur als Bevölkerungstransfer bezeichnet werden.

Nicht minder deutlich ist die Verletzung positiver Sätze des geltenden Völkerrechts herausgearbeitet worden. Hierbei unterstreicht der französische Autor, daß die Befürwortung des gegenwärtigen rechtswidrigen Zustandes einem Eintreten für Vertreibungen gleichzusetzen ist. Er kann darüber hinaus feststellen, daß die Befürworter einer Außerachtlassung des positiven Rechts sich nicht auf vermeintliche Prinzipien von Moral und Menschlichkeit zu berufen suchen — solche sind auch im Widerspruch zum Recht undenkbar — sondern daß

 

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sie es unternehmen, sich mit dem kurzsichtigen Hinweis auf eine angebliche politische Zweckmäßigkeit zu rechtfertigen. Für den deutschen Leser liegt in diesen klärenden Ausführungen zugleich die Mahnung — sie ist leider nicht immer überflüssig —, die Zukunft des östlichen Deutschland nicht ausschließlich als ein Problem derzeitiger Machtverhältnisse zu sehen. Dies sollte sich jeder Deutsche vor Augen halten, bevor er zur ostdeutschen Frage Stellung nimmt oder gar eine politische Empfehlung abgibt. Für ihn sind die allgemeinen Menschenrechte auch zwingendes innerstaatliches Recht, das durch das Grundgesetz festgelegt ist. In diesem sind jene Grundrechte zum allgemeinen Gesetz erhoben, die auch für die vertriebenen Staatsbürger gelten und deren Verletzung zu beseitigen, die Pflicht aller ist.

Der Autor kann sich auf die Meinung international anerkannter Gelehrter berufen, darunter von Mitgliedern des so angesehenen "Institut de Droit International", dem Zusammenschluß der bedeutendsten Völkerrechtler aus aller Welt. Von nicht geringerem Gewicht sind die Worte hervorragender französischer Persönlichkeiten, wie Jean de Pange, Robert d'Harcourt, François Mauriac, René Pinon. Sie zeugen für eine unbestechliche ethische Gesinnung. Ihre mahnenden Worte sind bisher allzu wenig bekannt und sollten gerade in Deutschland als Beweis dafür genommen werden, daß aufrechte Männer jenseits der Grenzen Unrecht klar als Unrecht zu bezeichnen wissen, auch wenn es sich um den besiegten Gegner eines furchtbaren Krieges handelt.

Es liegt dem Autor jedoch völlig fern, Anklagen gegen Völker zu erheben, was seinem rechtlichen Denken widersprechen würde. Er übersieht nicht, daß kein Volk, mag es auch scheinbar Nutznießer der Vertreibungen sein, deren Urheber war, sondern daß diese von anderen Kräften ausgelöst wurden, die sich der Erregung des Augenblicks zu bedienen suchten. Die Feststellung des Unrechts und der Verletzung ethischer Grundsätze ist dem Autor vielmehr lediglich Mittel, die Verständigung unter den Völkern zu fördern, die vorab der Wiederherstellung von Recht und Moral bedarf. Die Schrift ist nicht Anklage allein, sondern Streben nach Ausgleich!

Ziel der Studie ist es, die völkerrechtliche Lage des östlichen Deutschland von den Vertreibungen her zu beleuchten. Gerade diese Betrachtungsweise vermag den gegenwärtigen

 

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Unrechtstatbestand aufzuzeigen und zu bestätigen, daß die Gebiete jenseits von Oder und Neiße deutsches Staatsgebiet sind. Die Territorialfrage wird also von der betroffenen Bevölkerung her beantwortet, ohne unmittelbar Gegenstand der Untersuchung zu sein. Auf die Rechtswidrigkeit von Annexionen wird deshalb nicht eingegangen. Das ist kein Nachteil, da diese Frage, gestützt auf das geltende Völkerrecht, oft und eingehend genug erörtert wurde. Die deutschen Staatsgrenzen stehen fest, die dadurch nicht verändert werden können, daß die Verwaltungsmächte das Provisorium ihrer Funktion in einen Territorialgewinn umzudeuten suchen. Um so wesentlicher ist es aber, daß die Vertreibungen in einem Zeitpunkt als rechtswidrig erkannt werden, in dem nach einem gerechten, dauernden Frieden gesucht wird. Denn dieser setzt die Erkenntnis der Staatengemeinschaft, vornehmlich der betroffenen Staaten und ihrer Staatsmänner, voraus, daß Territorialveränderungen dort rechtmäßig unvollziehbar sind, wo die angestammte Bevölkerung vertrieben wurde.

Die Studie enthält eine Äußerung von Robert Schuman, in der er bekundet, daß Frankreich trotz rechtsgültiger Abtretung den Verzicht auf Elsaß und Lothringen geistig niemals hingenommen hätte. Entsprechend wird Deutschland zuzubilligen sein und von ihm erwartet werden müssen, daß es unermüdlich alle friedlichen Mittel anwenden wird, die ihm sein östliches Staatsgebiet wiederbringen. Dies kann infolge der rechtswidrigen Vertreibungen nicht einmal formalrechtlich zum Bestandteil eines anderen Staates erklärt werden!

Göttingen, im Juni 1959.

 

J. Frhr. v. Braun
geschäftsführendes Vorstandsmitglied
des Göttinger Arbeitskreises

 

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Eine Völkerwanderung ohne Beispiel

Der in Potsdam unterzeichnete "Akkord" vom 2. August 1945 hat eine Völkerwanderung veranlaßt, welche in der Geschichte ohne Beispiel ist. Die drei an der Konferenz beteiligten Regierungen, die Vereinigten Staaten, Großbritannien, die Sowjetunion, haben entschieden, daß

die deutsche Bevölkerung Polens, der Tschechoslowakei und Ungarns weiter nach Deutschland überführt wird. Sie stimmen darüber überein, daß dieser Bevölkerungstransfer in ordnungsgemäßer und humaner Weise durchgeführt werden soll, da, das Eintreffen einer so großen Zahl von Deutschen, die nach Deutschland geleitet werden, die Verpflichtung vergrößern würde, welche schon auf den Besatzungsmächten lastet. Sie halten es für wünschenswert, daß zuerst der Kontrollrat das Problem unter besonderer Berücksichtigung einer gerechten Verteilung der Deutschen auf die verschiedenen Besatzungszonen prüfen soll. Seit dem Winter 1945 betreiben die sowjetischen Stellen den "Transfer". Sie beginnen mit der Austreibung von 3 1/2 Millionen Einwohnern der deutschen Gebiete, welche "der Verwaltung des polnischen Staates übergeben sind", und von 2 1/2 Millionen aus Gebieten, welche dem tschechoslowakischen Staat unterstellt sind.

"Der Transport", schreibt Jean de Pange [1], "erfolgt mit abscheulicher Unmenschlichkeit, im tiefen Winter, bei eisiger Kälte, in Viehwagen und Waggons ohne Fensterscheiben, die tagelang auf Abstellgleisen stehenbleiben. Keine Verpflegung ist für die Unglücklichen bereitgestellt, von denen viele unterwegs sterben, vor allem Kinder im zartesten Alter. Die Überlebenden treffen erschöpft und unterernährt ein. Sie können nur in Lagern, ähnlich dem von Dachau, Platz finden, wo schon die Opfer der Hitlerschen Deportationen zusammengedrängt waren und wo Epidemien herrschen. Während der Wanderung starben mehr als vier Millionen. Alle diejenigen, welche Zeugen dieser furchtbaren Austreibung waren, vergessen das Schreckensbild nicht."

Der französische Jurist, welcher sich mit einem solchen Problem befaßt, um es dem Recht gegenüberzustellen — und zwar nicht nur dem Naturrecht, z. B. von Grotius, wie auch

 

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von den Theoretikern der Schule von Salamanca, Suarez und Fran[c]isco de Vittoria, sondern auch dem modernsten positiven Recht —, kann mit Genugtuung feststellen, daß Frankreich ein solches Abkommen nicht unterzeichnet hat und daß Frankreich durch die berufene Stimme seines Außenministers, damals Georges Bidault, eine Auswanderungspolitik für Deutsche vorgeschlagen hat, wobei es bereit war, diese durch die Öffnung seiner Grenze zu erleichtern, um "einen permanenten Zustand des Elends und der Übervölkerung, dessen Konsequenzen für die Zukunft des Friedens gefährlich sein könnten", zu vermeiden. [2]

Nachdem die drei Großen Alliierten feierlich die Hitlerschen Deportationen vor dem Angesicht des Weltgewissens verdammt hatten, haben sie sich für die Verjagung von Millionen von Männern, Frauen und Kindern aus ihren Häusern, ihren Städten und ihren Dörfern entschieden, wobei ihre einzige Hauptsorge wirtschaftlicher Natur war, nämlich daß die "Last, welche schon auf den Besatzungsmächten ruht", sich nicht vermehre. Die Franzosen, welche einmütig derartige Methoden verwerfen, sollten das Schicksal dieser Bevölkerungsgruppen kennen. Um ihretwillen öffnen wir auf den folgenden Seiten ein wenig die Akte Schlesien.

 

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Die deutsche Geschichte Schlesiens

So weit wie man in der Geschichte zurückgehen kann, scheint es, daß Schlesien anfänglich von sich weit ausdehnenden Stämmen bewohnt war, und zwar weder germanischen, noch keltischen, noch slawischen Stämmen, sondern solchen, die zu der Gruppe der Indoeuropäer gehörten, welche die Ethnologen Illyrier nennen.

Im 6. Jahrhundert v. Chr. erscheinen zusammen mit Reitern aus dem Osten, den Skythen, die ersten germanischen Stämme und machen sich in bestimmten Gebieten des nördlichen Schlesien seßhaft. Diese germanischen Stämme, die ersten, die sich in Schlesien niedergelassen haben, scheinen dieses Gebiet um das Jahr 300 v. Chr. in großer Zahl in Richtung Ukraine verlassen zu haben.

Um das 4. Jahrhundert v. Chr. dringen keltische Stämme in das mittlere und südliche Schlesien ein.

Aber in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. ist Schlesien schon von den Vandalen bevölkert, germanischen Stämmen, welche aus Jütland und auch aus Norwegen und Schweden kamen, um sich in bevorzugteren Gebieten niederzulassen. Die Spuren, welche aus den ersten sechs Jahrhunderten n. Chr. in Schlesien entdeckt wurden, zeigen uns deutlich, daß es von Germanen bewohnt war. Selbst der Name "Schlesien" scheint von dem eines vandalischen Stammes abgeleitet zu sein, nämlich den Silingern. Tacitus hat ein heidnisches Heiligtum der Silinger erwähnt, welches sich, nach seiner Beschreibung, auf einem Berg befand, den man in den verschiedensten mittelalterlichen Quellen den "Monsslensis" benannt findet und den die Deutschen heute noch "Siling" oder "Zobten" nennen.

Von dieser Zeit an wohnen Germanen in Schlesien. Als die Vandalen im 5. Jahrhundert n. Chr. ihre Wanderung in Richtung Süden und Westen nach Spanien und Nordafrika wieder fortsetzen, bleibt ein Teil der Germanen im Lande. Zwei Jahrhunderte später erleben sie nun das langsame und fortschreitende Eindringen von Osten kommender slawischer Stämme.

Ursprünglich ist Schlesien weder slawisch noch polnisch. Durch Gewalt und unter Zwang bringen es die polnischen Könige Miesko (963—992) und sein Sohn Boleslaw Chrobry (992—1025) in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts unter pol-

 

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nische Oberhoheit. Politisch bleibt Schlesien mit Polen für 136 Jahre verbunden, bestimmte Gebiete — wie ein Teil Oberschlesiens — jedoch nur 28 Jahre. Aber Miesko und Boleslaw stehen unter der Lehnsherrschaft des deutschen Kaisers. Boleslaw scheut sich trotz seiner Vasallenbande nicht, 16 Jahre lang gegen Kaiser Heinrich II. Krieg zu führen (von 1002 bis 1018). Er nutzt also die Schwäche des Reiches, um seine Eroberungen nach allen Seiten hin voranzutreiben, so daß unter seiner Herrschaft das größte Polenreich entsteht.

Während sich das Gebiet unter der Herrschaft des polnischen Königs durch Eroberungen ausdehnt, entwickelt sich jenseits der Sudeten ein anderer Staat, das Herzogtum und spätere Königreich Böhmen.

Schlesien wird nun infolge seiner geographischen Lage der Gegenstand unaufhörlicher Kriege zwischen beiden Staaten. Bis 1038 ist es unter dem Zepter des Königs von Polen, dann ist es von 1038 bis 1054 Böhmen angegliedert.

Während dieser Kämpfe zwischen Polen und Böhmen werden sich die Schlesier ihrer Unabhängigkeit bewußt, seit 1093 wird mit dem Grafen Magnus, dem Kastellan von Breslau, eine Art schlesische Politik sichtbar.

Durch den Vertrag von Quedlinburg im Jahre 1054 kommt Schlesien wieder unter die polnische Krone gegen Zahlung eines jährlichen Tributes an Böhmen. Diese Auflage ist nun während mehrerer Generationen die Quelle für ständige Konflikte zwischen Böhmen und Polen.

Der Vertrag von Glatz im Jahre 1137 setzt diesen Streitigkeiten ein Ende und legt die Grenzen fest, welche sich — abgesehen von späteren Berichtigungen — durch die Jahrhunderte erhalten haben.

Nach der Teilung Polens, welche dem Tode des Königs Boleslaw III. folgt, kommt Schlesien im Jahre 1138 wieder unter die Herrschaft von Wladislaw II., Oberhaupt des polnischen Piastenhauses.

Sodann erhalten 1163 die beiden Söhne Wladislaws, Boleslaw und Miesko, Schlesien von Kaiser Friedrich Barbarossa.

Seit dem 12. Jahrhundert befindet sich Schlesien unter deutschem Einfluß und löst sich mehr und mehr vom polnischen Einfluß.

In kurzer Zeit wird Schlesien ein Land deutscher Sprache und Kultur. Heinrich I., der Sohn Boleslaws, der von 1201

 

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bis 1238 regiert, heiratet Hedwig von Andechs. Sie ist die achte deutsche Prinzessin, die einen Piasten heiratet. Heinrich und Hedwig öffnen Schlesien weit dem christlichen und deutschen Einfluß. Sie fördern die Gründung zahlreicher Klöster und erleichtern die Niederlassung von deutschen Bauern und Handwerkern, denen sie ihren Schutz und die Garantie der persönlichen Freiheit und der Selbstverwaltung bewilligen. Dörfer und Städte entstehen nun: Schlesien erfährt einen beträchtlichen Aufschwung auf Grund des Anwachsens seiner deutschen Bevölkerung.

Im Jahre 1241 fallen die Mongolen in Schlesien ein. Heinrich II., der das Werk seines Vaters fortführen sollte, wird in der Schlacht bei Wahlstatt, in der Nähe von Liegnitz, getötet, als er die bedrohte christliche Welt verteidigt.

Der Tod Heinrichs II. hat verheerende Folgen für die politische Entwicklung Schlesiens. Seine noch minderjährigen Söhne können die Einheit des Landes nicht bewahren, das in mehrere Fürstentümer zerstückelt wird.

Schlesien sucht Unterstützung im Westen.

Im Jahre 1327 unterstellen sich mehrere schlesische Fürsten der Lehnsherrschaft der Krone Böhmens. Andere folgen ihnen im Zusammenhang mit einer Entwicklung, welche politisch durch den Vertrag von Trentschin besiegelt wird, den 1335 Johann von Böhmen und der polnische König Kasimir schließen. Nach den Bestimmungen dieses Vertrages entsagt Polen für immer Schlesiens, das ein Teil des deutschen Reiches wird. Dieser Verzicht Polens ist bis zur jüngsten Zeit gültig geblieben.

1526 kommt Schlesien mit Ferdinand I. unter das Zepter der Habsburger, der Erben der Krone Böhmens.

Im Frieden von Breslau im Jahre 1742 tritt die Kaiserin Maria Theresia den größten Teil Schlesiens an Preußen ab; der Friede von Hubertusburg im Jahre 1763 bestätigt diese Regelung.

Durch die Jahrhunderte ist Schlesien deutsches Land. Zumindest in Oberschlesien bleibt eine Minderheit mit polnischer Sprache, aber ohne politisches Streben nach einem Anschluß an Polen.

Die Frage der Zugehörigkeit Oberschlesiens zu Polen wird nur nach dem ersten Weltkrieg gestellt. Die Deutschen erklären, daß eine Teilung einen wirtschaftlichen Ruin zur Folge

 

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haben würde. Großbritannien unterstützt diese These, und die Volksabstimmung vom 20. März 1921 ergibt 707 000 Stimmen zu Gunsten Deutschlands gegenüber 479 000 Stimmen zu Gunsten einer Angliederung an Polen. [3]

Die Polen behaupten nun, daß die Ergebnisse der Volksabstimmung durch die umfassende Rückführung einer großen Zahl von Deutschen, die in Schlesien geboren waren, zum Tage der Abstimmung verfälscht worden seien; aber die Deutschen machen darauf aufmerksam, daß die Ergebnisse der Volksbefragung noch günstiger gewesen wären, wenn bestimmte Gebiete Oberschlesiens nicht durch die Alliierten von der Abstimmung ausgeschlossen worden wären.

Bald verursacht eine polnische Gruppe Unruhen in Oberschlesien und erzwingt die Teilung trotz der Ergebnis[s]e der Volksabstimmung. Der Völkerbund richtet für die Dauer von 15 Jahren eine vorläufige Wirtschaftsverwaltung unter der Kontrolle einer gemischten Kommission ein. Er organisiert auch den Schutz der Minderheiten.

Ein anderer Teil Schlesiens, die Zone von Teschen, wird zwischen der Tschechoslowakei und Polen am 28. Juli 1920 geteilt.

Diese künstliche Teilung Schlesiens ist ein Nährstoff für Unruhe und Krieg. Sie kam unter Bedingungen zustande, die nur schwer mit der Achtung vor dem Recht vereinbar sind. Sie befriedigt niemanden.

Im Frühjahr 1945 ist Schlesien in den ersten Tagen des Mai gänzlich von der Roten Armee besetzt. Der Süden des Landes kommt unter die Herrschaft der Tschechoslowakei, welche ihre Grenzen von 1937 zurückerhält. Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 unterstellt den Rest Schlesiens der vorläufigen Verwaltung Polens.

Dieser historische Abriß läßt deutlich werden, daß die polnischen Ansprüche auf Schlesien jung und sogar künstlich sind.

Nach Potsdam gibt es Polen — zugegeben nicht viele —, die sich leidenschaftlich und gehässig äußern. Für diese schwache Meinungsgruppe, deren Stimme jedoch auf Grund der Verhältnisse den Ton angibt, ist die Deportation der Deutschen notwendig. Diese Ansicht kennt keine Skrupel. Sie wird unterstützt durch die Stellungnahme einiger Juristen, die jedoch nicht die Mehrheit bilden.

 

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Professor Sarwicki erklärt:

"Deutschland muß die legalen Sanktionen erdulden, welche gegenüber den Verantwortlichen für die Verbrechen anwendbar sind. Es bedarf einer exemplarischen und erzieherischen Züchtigung." [4]

Diese kurz wiedergegebene Rechtsauffas[s]ung, die dem Recht widerspricht und voreilig vorgetragen wurde, dient als Rechtfertigung barbarischer Handlungen, welche im Laufe jener Sturmflut verübt wurden, die die Völker ergriff, als sie sich von der Knechtschaft des Nazismus befreiten.

Ein offizielles polnisches Dokument gesteht im Hinblick auf Schlesien zynisch ein, daß man dieses Gebiet ohne Deutsche wiedererlangt habe.

Man stelle sich vor, wie das Gebiet, ein historisch deutsches Land, ohne die Bevölkerung wiedererlangt werden konnte, welche es im Laufe der Jahrhunderte geformt hat.

 

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Austreibungen begannen vor Potsdam

Durch die Übereinkunft vom 2. August 1945, welche in Potsdam ausgearbeitet wurde, haben sich die drei Unterzeichnermächte — USA, Großbritannien und Sowjetrußland — für die Durchführung einer Umsiedlung der deutschen Bevölkerung in Polen und den von Deutschland abgerissenen Gebieten nach Deutschland entschieden. Diese Umsiedlung entspricht der Vorstellung, der Frank Mank in seinem Buch "The Legacy of Nazism" Ausdruck gibt: [5]

"Auf zahlreiche Jahre hin wollen und können die unterdrückten Nationen nicht mit den Deutschen zusammenleben, gleichgültig, ob es Nazis sind oder keine." Und Jean de la Robrie beschreibt in seinem Buche "Exode, Transferts, Esclavage" den Geisteszustand der Polen am Kriegsende wie folgt:

"Man muß also die deutsche Minderheit austreiben. Schon sind zahlreiche Deutsche hinter ihren Truppen aus Schlesien geflohen, da sie die Rache eines Volkes fürchten, welches sie haßt. Mit Waffen und Gepäck sind sie davon gezogen, wobei sie alles mit sich führten, selbst die ihrer Obhut anvertrauten polnischen Kinder, so groß ist ihre Furcht, in die Hände der Roten Armee zu fallen. Dieser Raub und die zahlreichen Zerstörungen, die Brandstiftungen an Bauernhöfen und Fabriken sind nicht geeignet, Nachsicht gegenüber den auf wilder Flucht befindlichen Deutschen zu empfinden." Nach dem Rückzug der deutschen Armee erhält die Volkswut eines Teiles der polnischen Minderheit in Oberschlesien unter dem Einfluß extremistischer Elemente freien Lauf. Schon vor Potsdam fanden unter dem Druck der sowjetischen Armeen die ersten Austreibungen statt. Aber für die neuen Herren blieben noch zu viel Deutsche in Polen und Schlesien.

Der im übrigen begrenzten pöbelhaften Rache folgt nun die methodischere und wirksamere Maßnahme der Regierungen. Das menschliche Problem erscheint ihnen uninteressant. Im Vordergrund steht das Ziel, die Grenzen zu sichern und einen lebensfähigen Staat zu schaffen, damit Polen als ein Puffer zwischen Deutschland und Rußland dienen kann.

 

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Churchill verspricht, daß "die Polen für die Sümpfe Polesiens industrialisierte Gebiete bekommen würden." [6]

Molotow verkündet seinerseits: "Die Tatsache der Genehmigung einer Deportation der Bevölkerung ist ein hinreichender Beweis für den Willen der großen Mächte, die neuen Grenzen festzulegen."

Die umfassende Austreibung erscheint als eine Notwendigkeit, welche sich aus den Versprechungen ergibt, die von den Russen und Amerikanern den Polen gegenüber vor der Potsdamer Beredung gemacht wurden, ihnen bei der Umsiedlung dessen zu helfen, was die Polen die deutsche Minderheit nennen. Um diese Absicht zu verwirklichen, "ist es nötig, ohne Erbarmen alle Fremden zu verjagen, damit man völlig unter sich ist." [7]

Die Statistiken der polnischen Regierung, welche natürlich für die Deutschen am wenigsten günstig sind, erweisen sich indessen als recht aufschlußreich: [8]

Im Mai 1939 gab es in Schlesien:

7,3

Mill.

Deutsche

am 1. Juli 1945:

4,776

"

"

am 14. Februar 1946:

2,076

"

"

am 1. Januar 1947:

0,433

"

"

Am Ende des Jahres 1947 bleiben — nach einem Eingeständnis der Warschauer Regierung — nur noch 200 000 Deutsche übrig, und zwar Ingenieure und Techniker, die in den schlesischen Fabriken beschäftigt sind.

Die Verteilung der Vertriebenen auf die sowjetische und britische Besatzungszone in Deutschland geschieht entsprechend dem Prozentsatz der Bevölkerung.

Die systematisch organisierte Rückführung betrifft 1,643 Mill. Deutsche. Die anderen wichen bei der Annäherung der Roten Armee aus, um den verschiedenen Ausschreitungen zu entgehen, oder sind unter den bekannten Begleitumständen verschollen.

Die Flutwelle der Schlesier strömt zunächst nach Sachsen. Auch Berlin ist eine der Durchgangsstellen der Vertriebenen. Aber angesichts der Menschenmassen, welche überhand zu nehmen drohen, richtet man militärische Sperrzonen entlang

 

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der Oder ein. Am 1. Januar 1947 ist die Austreibung praktisch beendet.

In Potsdam hatte man sich eingebildet, diese Bevölkerungsbewegungen mit etwas Methode durchführen zu können. Die Großen Drei hatten eine Wanderung von sechs Millionen Deutschen unter dem Druck der kämpfenden Truppen angenommen und dem Prinzip einer zwangsweisen Umsiedlung der noch verbliebenen Bevölkerung unter drei Bedingungen zugestimmt:

  1. Die Umsiedlung müsse in geordneter und menschlicher Weise durchgeführt werden.

  2. Vor der Durchführung der Umsiedlung müsse eine Frist bleiben, um die deutsche Bevölkerung zu zählen und ihre Aufnahme in den verschiedenen Zonen zu planen.

  3. Ein interalliiertes Kontrollkomitee müsse gebildet werden.

Nach angelsächsischer Auffassung war die Teilung Schlesiens durch die Potsdamer Übereinkunft nur provisorisch, die endgültige Regelung sollte zur Zeit der Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit Deutschland erfolgen.

Die polnischen Extremisten wollen dagegen, daß die Übereinkunft einen endgültigen Charakter trage. Sie wollen also versuchen, die Alliierten festzulegen. Nach ihrer Meinung legalisiert Potsdam bereits die vollendete Tatsache einer umfassenden Abwanderung der Deutschen, die durch das Vorrücken der sowjetischen Armee weggefegt wurde. Nach dem Potsdamer Abkommen wollen sie schnellstens die Austreibung vollenden, um von der deutschen Minderheit befreit zu sein, die noch vorhanden ist.

Der Jurist Sarwicki ist einer der Wortführer dieser maßlosen Politik.

"Die Umsiedlung der Deutschen", führt er aus, "ist in Übereinstimmung mit den Entscheidungen der großen Mächte und unter ihrer Kontrolle durchgeführt worden. Diese Sanktion wird den Nutzen haben, daß die Deutschen belehrt werden, und ihnen die Absicht, einen neuen Krieg zu provozieren, verleidet wird." [9]

 

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Die Schnelligkeit der Durchführung ergibt sich aus dem Zeugnis von Jean Schwoebel, der in einer Vorlesung in der Sorbonne am 18. Juni 1947 Eindrücke seiner kurz vorher erfolgten Reise in das neue Polen schildert, wobei er ausführt:

"Die Polonisierung ist eine Tatsache. Die großen Mächte, von denen die Verfügung über die Gebiete abhängt, werden sich eingestehen müssen, daß sie jede Möglichkeit für einen taktischen oder diplomatischen Spielraum verloren haben und daß sie durch internationales Recht eine Entwicklung sanktionieren ließen, die auf die Erwerbung zusteuert." Das ist das Ergebnis einer schnellen Austreibung. "Die Polonisierung ist vorhanden", sagt Schwoebel, "es ist zu spät, um das Rad zurückzudrehen." [10]

Man ist zu der Feststellung gezwungen, so bedauerlich es auch sein mag, daß die Alliierten entgegen allen Prinzipien, welchen sie treu zu sein behaupteten, in Schlesien praktisch ein auf Gewalt gegründetes Recht geschaffen haben.

 

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Flagrante Verletzung der Menschlichkeit

Man muß die Methoden der Umsiedlung der deutschen Bevölkerung vor und nach Potsdam studieren, um sich zu überzeugen, daß sie eine flagrante Verletzung der elementarsten Regeln der Menschlichkeit sind.

Die verschiedenen Zeugnisse der Austreibung der Deutschen sind eindrucksvoll:

"Entkräftet, mit blutigen Füßen, gehen sie als Ausgestoßene, ohne Hoffnung auf Rückkehr, über die Straßen, auf denen ihnen keine Freizügigkeit erlaubt ist.

Demütigung und Hunger sind die ständigen Begleiter der Flüchtlinge." [11]

"Wir wurden in einen Zug gepfercht, der uns auf die andere Seite der Oder bringen sollte. Die Polen bemächtigten sich der Mäntel und der Umhänge der Frauen . . . Weißhaarige Greise hielten sich ohne Schuhwerk und Hosen unter dem Novemberhimmel des Jahres 1945 aufrecht . . ." Aber die Vertriebenen werden von denen beneidet, die zurückbleiben. Aus einem Brief vom 5. November 1946: 'Die meisten der Zurückgebliebenen sind tot . . . Regelmäßig kommt die Soldateska, um uns zu mißhandeln . . . Wir werden alle wie Gefangene behandelt.'" [12]

Schon vor ihrer Austreibung sind die Deutschen, deren Besitz beschlagnahmt ist und die für lächerliches Entgelt arbeiten, bürgerlich rechtlos. [13]

Um diesem Zustand abzuhelfen und auf Grund von Protesten gewisser westlicher Kreise, entscheidet man in Potsdam, daß der Transfer ordnungsgemäß und menschlich durchgeführt werden solle, womit eingestanden wird, daß die bisherigen Methoden unmenschlich sind.

Aber zahlreiche Polen jubeln.

Die Juristen Muszkat und Sarwicki schreiben:

"Die Entscheidung der Mächte bevollmächtigt Polen, die Deutschen zu deportieren. Es war überflüssig, Deutschland um seine Zustimmung anzugehen, da es bedingungslos kapituliert hatte.

 

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Die Deportation hat in Übereinstimmung mit den Entschlüssen von Potsdam unter der Kontrolle der Alliierten und unter ausreichend guten Bedingungen stattgefunden, wobei den Deportierten die Fortführung ihrer Existenz in den Grenzen des Staates, welcher der ihre ist, gesichert wurde." [14]

Auf diese Weise schieben die Polen den alliierten Signatarmächten von Potsdam die Verantwortung für diese umfassende Deportation zu, nachdem diese vor eine vollendete Tatsache gestellt worden waren. Die Übereinkunft vom 2. August 1945 hat trotz ihrer Versprechungen die Maßnahme nicht vermenschlicht.

Obwohl ein Komitee für die Planung einer besseren Verteilung der Vertriebenen gegründet wurde, erfolgt der Transfer unter jämmerlichen Bedingungen. Nichts ist für die Unterbringung oder Ernährung des Deportiertenstromes vorgesehen. Jede Besatzungsmacht versucht, die Flüchtlinge an ihren Zonengrenzen dem Nachbarn zuzuschieben, woraus eine furchtbare Unordnung entsteht.

Der Erzbischof von Freiburg bringt seine Entrüstung zum Ausdruck und bemüht sich, die katholische Welt zu alarmieren:

"Die jetzigen Straßen Deutschlands sind mit Vertriebenen überlaufen. Es kommt dort zu herzzerreißenden Szenen." [15]

Ernest Bevin erklärt seinerseits im Oktober 1945 vor dem Unterhaus:

"Als ich mich zum Flughafen begab, um Berlin zu verlassen, habe ich ebenso viele Flüchtlinge gesehen, die aus Berlin heraus wollten, als solche, welche versuchten, nach Berlin zu kommen. Dieser Menschenstrom, die kleinen, von entkräfteten Frauen geschobenen oder gezogenen Wagen waren ein erschütternder Anblick."

Die Weltmeinung scheint in Bewegung zu kommen.

Anne O'Hare Mac Cormick schreibt in der "New York Times" am 4. Februar 1946:

"Alle diejenigen, welche die Aufnahmelager besucht haben, wissen, daß diese Austreibungen unter Bedingungen des Schreckens vor sich gehen, ohne jede Art internatio-

 

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naler Kontrolle, ohne jeden Anspruch auf primitivste Menschlichkeit. Wir sind Mitschuldige an einem Schrecken, der nur mit den nazistischen Schrecken vergleichbar ist."

Aber solche Gewissensregungen bleiben ohne Einfluß auf das Schicksal dieser unglücklichen Deportierten.

Das völlige Versagen jeglicher Kontrolle oder das Scheitern der Organisation geht zu Lasten der Alliierten. Die Zonen sind mit Flüchtlingen überflutet und die polnischen Behörden steigern noch die Unordnung, die einen Höchststand erreicht. Für sie endet ihre Aufgabe an der Grenze. Sie führen die Austreibungen durch, ohne sich mit deren Folgen zu beschäftigen. Unter dem Deckmantel des Potsdamer Abkommens führen sie eine wahrhafte "Generalbereinigung" durch.

Die Bedingungen sind bekannt, unter denen die Austreibung aus dem Inneren der Gebiete durchgeführt wird, die polnischer Verwaltung unterstellt wurden. In den großen Illustrierten aus der Zeit des Weltkrieges kann man herzzerreißende Dokumente sehen, z. B. der mit Deutschen und ihrem Gepäck überfüllte Breslauer Bahnhof. [16]

Ist eine Flucht, die organisiert ist, weniger grausam? Gibt es Unmenschlicheres als methodisch vorbereitete unmenschliche Maßnahmen?

Aber eine solche Organisation besteht überhaupt nicht. Der bekannte Akademiker und Spezialist für deutsche Fragen, Robert d'Harcourt, führt uns diese Schreckensbilder vor Augen:

"Nichts wird in uns das Bild von der erbarmungswürdigen menschlichen Herde wieder auslöschen können, die in die fensterlosen Waggons eingepfercht war . . . der Anblick Entwurzelter, die die Hoffnung verloren haben." [17]

Die Jahre von 1946-1947 sind die der "Züge des Elends und des Hasses".

Die Unzufriedenheit der Polen wird durch die sowjetische Propaganda verstärkt. In aufreizenden anonymen Flugblättern, die über das ganze Land verstreut werden, heißt es: "Die Sudeten und Schlesien werden wieder deutsch werden." Sie rufen eine Atmosphäre der Furcht hervor und treiben alle diejenigen an, die schon ein schlechtes Gewissen haben, noch

 

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radikaler zu werden. Man muß ein Ende machen und alle Deutschen auslöschen.

Nachdem die Engländer ihre Besatzungszone geöffnet haben, sind zu Beginn des Jahre 1947 bereits 88 Prozent der Deutschen aus ihren Häusern vertrieben.

Zynisch erklärt das Polnische Statistische Jahrbuch:

"Damit ist das deutsche Problem in diesen Gebieten bevölkerungsmäßig gelöst."

Ein anderes polnisches Dokument hat — wie wir schon weiter oben mitgeteilt haben — die Überschrift:

"Schlesien, ein ohne die Deutschen zurückgewonnenes Gebiet."

Die mit den Austreibungen beauftragten polnischen Beamten frohlocken:

Man sagt den Umsiedlern bis zur Abreise Lebensmittel und Reiseproviant entsprechend den für die polnische Bevölkerung vorgesehenen Sätzen zu, der Autor fährt fort: Die Engländer haben mehrere Male die Menschlichkeit der polnischen Umsiedlungsmethoden unterstrichen.

Jedoch diese Beteuerungen und der amtliche Charakter ihrer Quelle können nicht die Augenzeugenberichte der Deportierten widerlegen.

Die Zeitschrift "Amerika" veröffentlicht am 17. November 1945 die Beobachtungen eines Priesters, welche er in Görlitz am Sammelpunkt der Deportierten aus Schlesien gemacht hatte:

"Die Straßen von Görlitz wimmeln Tag und Nacht von zum Narren gehaltenen Menschen. Männer und Frauen, welche Skeletten ähneln, schieben Karren und kleine Fahrzeuge . . . Eltern suchen ihre Kinder; Ehemänner ihre Frauen . . . Ich habe gehört, wie eine Frau sagte: Jetzt bleibt mir nichts mehr übrig als der Strick. Heute noch hänge ich mich auf."

Und ein anderes Zeugnis:

"Ich habe vier Wochen in Kohlenwagen, welche jeder Witterung zugänglich waren, reisen müssen, nur mit einer Sommerbluse bekleidet . . . Auf der einen Fahrt von Ostpreußen nach Stargard in Pommern hatten wir 65 Tote . . . Nach drei Tagen sagte man uns, daß der polnische Lokomotivfahrer mit der Lokomotive weggefahren sei. Denjeni-

 

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gen, welche ihre Reise fortsetzen wollten, blieb nur der Fußmarsch übrig."

Infolge der Proteste der englischen Besatzungsbehörden, die dem Strom der Deportierten machtlos gegenüberstehen und das Aufnahmeproblem nicht mehr bewältigen können, machen die Polen große Anstrengungen, um die Deutschen zum freiwilligen Verlassen ihrer Häuser zu bewegen. Um sie zur Abreise zu zwingen, beliefern die Polen die Lebensmittelkarten nicht mehr und beschlagnahmen alle Vorräte. Der polnische Bürgermeister eines kleinen oberschlesischen Dorfes erläßt eine Bekanntmachung, in der es heißt, er hoffe, Weihnachten würde mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung gestorben sein.

In der großen Presse sind zahlreiche Zeugnisse abgedruckt:

"Wir haben auf der zehntägigen Reise von Oliva nach Güstrow in Mecklenburg nichts zu essen gehabt. Die polnischen Soldaten verkauften uns Brot für 100 bis 200 Zloty. Sie sagten uns, daß jeder, der an der mecklenburgischen Grenze mit mehr als 20 Zloty ankomme, erschossen werden würde."

Die Kindersterblichkeit ist verheerend.

"Ich kenne Fälle, da Mütter gekochte Kartoffeln genommen haben, sie kauten und die so bereitete Art von Brei in den Mund ihrer Neugeborenen stopften.

Vor dem Unterhaus fragte Michael Foot, ob kein älteres Gesetz zum Schutz der Frauen und Kinder bestehe, als das, was in Potsdam verkündet wurde."

In der Schweizer Wochenschrift "Die Weltwoche" kann man am 16. November 1946 lesen:

"Es gibt nicht nur einen Eisernen Vorhang in Europa. Es gibt deren zwei. Der zweite, von dem niemand spricht und den nur wenige kennen, trennt die russische Zone Deutschlands von den Ostgebieten, welche auf Grund des Potsdamer Abkommens Polen gegeben wurden und die außerhalb der alliierten Kontrolle stehen . . . ein Land der Gesetzlosigkeit und der Toten.

Jeder, der die polnische Zone verläßt und in die russische Zone kommt, atmet erleichtert auf.

Nach zuverlässigen Berichten ist in weiten Teilen Schlesiens kein Kind unter einem Jahr lebend geblieben. Es ist

 

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eine Tatsache, daß in Oberschlesien alle Frauen, welche von Geschlechtskrankheiten befallen sind, durch Kopfschuß getötet werden."

Die durch die Russen aufgehetzten Polen vertreiben zunächst die unnützen Esser und wiederholen die Zerreißung der Familien, die einst den Nazis vorgeworfen wurde.

Man begreift nun, daß das Polnische Statistische Jahrbuch Ende 1947 erklären kann, in Schlesien gebe es nur 200 000 Deutsche — Ingenieure, Techniker, Gefangene —, welche für die Wirtschaft des Landes unentbehrlich seien.

Auf Grund dieser Zeugnisse ist es wohl überflüssig, die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens zu kritisieren: Die Umsiedlung solle "ordnungsgemäß und menschlich" durchgeführt werden.

 

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Verstoß gegen das Naturrecht

Können derartige systematische Vernichtungen einer ganzen Bevölkerung gerechtfertigt werden?

Wir können in ihnen nur unmenschliche und barbarische Methoden erblicken.

Dennoch haben sich bedauerlicherweise in Polen Juristen gefunden, welche die Entscheidung von Potsdam als "einen Akt der Gerechtigkeit in der Geschichte ansehen." [18]

"Der Verlust von Gebieten ist eine Straffolge des Kriegsverbrechens.

Das Ziel des Potsdamer Abkommens ist die Verteidigung des Friedens. Die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung ist nur eine Garantie für diesen Frieden. Die endgültige Verdrängung der Deutschen wird die Ansiedlung einer gleichen Anzahl von Polen ermöglichen."

Ein anderer polnischer Delegierter schreibt: "Diese Lösung steht in Übereinstimmung mit den Interessen der Völker. Die Deutschen haben Agrargebiete verloren, welche sie vor dem Kriege nicht kultivieren konnten oder wollten; die Polen, welche sie als Tagelöhner bebauten, bearbeiten sie jetzt auf eigene Rechnung.

Deutschland muß die legalen Sanktionen auf sich nehmen, welche auf die Verantwortlichen für die Verbrechen anwendbar sind. Es bedarf einer exemplarischen und erzieherischen Züchtigung, deren Zweck die Verteidigung des Friedens ist."

Unter dem Deckmantel des Potsdamer Abkommens wendet man so wieder nazistische Methoden an. In einem sehr guten Beitrag, der in der Pariser Zeitung "Le Figaro" am 30. Oktober 1946 veröffentlicht wurde, schreibt François Mauriac unter der Überschrift 'Rache der Gehängten':

"Der Mensch ist eine Sache geworden, welche man nimmt, welche man hin und her schiebt, welche man deportiert; man muß bald sagen: die man importiert und exportiert; dieses undenkbare Verbrechen . . . ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden; zu einem gewohnten Brauch."

 

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Die Zeitschrift "Esprit", welche von Emmanuel Mounier redigiert wird, empört sich in ihrer Nummer vom 1. März 1946:

"Die Leiden der Vertriebenen und die Rachsucht belasten die Zukunft."

In der "Gazette de Lausanne" sucht Duplain eine Erklärung für das Unentschuldbare:

"Unrecht und Gewalt tragen ihre Früchte. Die Umsiedlung von Bevölkerungen widerstrebt der Auffassung von Föderalisten, die wir sind. Aber würden wir in anderer Weise reagiert haben? Ich glaube es nicht."

Welchen Wert haben diese "Umsiedlungen"? Sind sie eine Garantie für den Frieden, wie einige Polen versichern? Diese Theorie erläutert Schechtmann in seinem Buch "European Transfers": [19]

"Die Umsiedlung ist das kleinere Übel. Ihr Ziel ist die Sicherung des Friedens. Man muß mit den nationalen Minderheiten, den Gärstoffen für Kriege, aufräumen.

. . . den Krebs herauszuschneiden, ist nicht grausam, sondern notwendig.

Man muß deshalb schnell vorgehen."

Das ist ein Rechtfertigungsversuch für die polnische Handlungsweise. Man profitiert von der Volkswut und von den mannigfaltigen Ausschreitungen, welche eine erste Vertreibung bewirkten, und man siedelt im übrigen mit möglichster Schnelligkeit die Reste der dem Untergang geweihten Bevölkerung aus.

Die französische Auffassung steht derartigen Methoden und dem ihnen zu Grunde liegenden Prinzip aus dem Innersten heraus feindselig gegenüber. Der Zwang zur Abwanderung darf nicht absolut sein, denn für einen Menschen ist die Eingewöhnung in ein neues Land langwierig und schwierig. [20]

Das System der Umsiedlung ist gescheitert. Sein Versagen ist in Deutschland sichtbar geworden. Die Deutschen stellen fest, daß die Schlesier trotz gemeinsamer Abstammung, Sprache und Religion ihre Liebe zu dem Lande, aus dem sie verjagt wurden, bewahren; sie wurden nicht eingegliedert, denn ihr Mutterland bleibt Schlesien.

 

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Die Lage eines Schlesiers gleicht im übervölkerten Deutschland nicht derjenigen eines jeden anderen Deutschen, sondern eines Flüchtlings, fast eines Staatenlosen, der zunächst dank der Unterstützung internationaler Organisationen überleben darf.

Man hätte ohne Zweifel die Umsiedlungen organisieren können, was eine Verbesserung dargestellt hätte, aber man konnte sie nicht vermenschlichen. Denn eine solche Maßnahme widerspricht der Natur des Menschen.

Die Umsiedlung einer Menschengruppe bedeutet gleichzeitig deren Ausplünderung. Für die Schlesier ist keine individuelle Schadensregelung möglich. Wer sollte sie entschädigen? Deutschland? Polen?

Auf jeden Fall sind — individuell betrachtet — alle Überlebenden um Hab und Gut gebracht. Wahrer Friede gründet sich auf der Gerechtigkeit und nicht auf derartigen Verletzungen des Rechts und der elementarsten Grundsätze der Menschlichkeit.

 

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Keine Rechtfertigung durch positives Recht

Für derartige Methoden gibt es keine moralische oder menschliche Rechtfertigung. Könnte man aber für eine solche Bevölkerungsdeportation eine gültige Rechtfertigung im Bereich des positiven Rechtes finden?

Internationale Kapazitäten, deren Autorität schwerlich zu bestreiten ist, haben sich hierüber mit größter Klarheit geäußert.

Auf der Sitzung des "Institut de Droit International", welche 1952 in Siena stattfand, hat Professor Scelle auf den Bericht des Präsidenten der 2. Kommission, Prof. Balladore Pallieri, über Bevölkerungsumsiedlungen erwidert:

"Die Umsiedlung ist niemals ein Mittel zum Schutz der Menschenrechte, sondern ganz im Gegenteil ein Mittel, um gewissen Rechten Genüge zu tun, welche die Staaten in Anspruch nehmen und auf die sie sich durch eine internationale Konvention einigen. Dieses wird am deutlichsten, wenn die Umsiedlung obligatorisch ist. Die Staaten verfolgen nun ihre eigenen Interessen und nicht die ihrer Untertanen. Es liegt also ein Gegensatz zwischen den Individualrechten, dem Völkerrecht und dem Staatsrecht vor. Jeder Rechtfertigungsversuch besagter Methoden muß zuerst zu einem Urteil und einer Entscheidung zwischen einem Individualrecht und einem überstaatlichen Recht führen." [21]

Professor Scelle widerlegt die Konzeption einer überstaatlichen Ordnung, die Umsiedlungsmaßnahmen legalisiert:

"Die politischen Maßnahmen stehen mit den elementarsten und fundamentalsten Prinzipien des Menschenrechtes in Widerspruch . . . Jede Bevölkerungsumsiedlung ist eine Verneinung der modernen internationalen Ethik, der vornehmsten Grundlage einer internationalen Rechtsordnung. Alle Kollektivvertreibungen sind eine Verletzung der allgemeinen Rechtsgrundsätze . . . Das erste Element einer jeden Gesellschaftsordnung ist das Individuum, die einzige wirkliche Rechtsperson . . .

Die grundlegende Norm eines jeden entwickelten Rechtssystems ist die Anerkennung der Autonomie des Willens der

 

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Rechtsperson. Diesen Grundsatz umgekehrt anwenden, bedeutet, daß die Möglichkeit der Knechtschaft und selbst der Sklaverei stillschweigend anerkannt wird.

Die Bevölkerungsaustreibung steht in direktem Gegensatz zu der schon ein Jahrhundert alten Entwicklung des Völkerrechts . . . eine Verletzung des geheiligten Rechtes der Völker, über sich selbst zu bestimmen . . .

Die Verbannung zieht den Verlust des Erbes nach sich, bringt Leiden, das Grauen der Vertreibung und oft den Schwächeren den Tod . . .

Man kann also schwer verstehen, wie Juristen kalten Blutes über die Existenz von Regierungsvollmachten diskutieren können, welche die Anordnung derartiger Schrecken ermöglichen . . . Bevölkerungsumsiedlungen sind gleichermaßen verdammungswürdig wie durch das internationale Recht geächtet, dessen Grundsätze den Staaten automatisch auferlegt sind . . . Der Austausch von Bevölkerungsgruppen kann nicht als Hilfsmittel hingenommen werden, insofern er ein Ersatz für Ausrottungen und Völkermord ist. Er ist dem Wege nach dasselbe."

Professor Fernand de Visscher hat seinerseits diese Rechtsverletzung gegeißelt und unterstrichen, daß "die Potsdamer Entwürfe, welche auf rein politischen Erwägungen beruhen, im Lichte des internationalen Rechtes nicht als legal angesehen werden können." [22]

Professor de Visscher stimmt mit Prof. Scelle darin überein, in Potsdam nur eine politische Willensentscheidung zu sehen, welche sich weder um das menschliche Problem, noch um das Recht kümmert, sondern welche die Interessen der vertragsschließenden Mächte schnell und durch Gewalt zu regeln beabsichtigt.

 

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Manifestation der Gewalt

Kann das Potsdamer Abkommen, das so sehr im Gegensatz zum Völkerrecht im weitesten Sinne steht, als ein gegen Deutschland gerichteter Vertrag betrachtet werden?

Dieses Problem überschreitet den Rahmen unserer Untersuchung, aber es muß hervorgehoben werden, daß Deutschland das Abkommen vom 2. August 1945 nicht unterzeichnet hat und daß ihm die Entscheidung der drei Großen Alliierten auferlegt wurde.

Die Doktrin der Warschauer Regierung stützt sich auf die Behauptung, daß die bedingungslose Kapitulation Deutschlands einer internationalen Übereinkunft zwischen den interessierten Partnern entspricht. Tatsächlich wurde Polen, das in Potsdam nicht Unterzeichnermacht war, dort gehört und zu einem Bericht zugelassen, der die in Jalta formulierten älteren Forderungen wiederholt.

Aber die große Mehrheit der europäischen Juristen teile diese Meinung nicht. Für Baron van Asbeck gibt es keine Übereinkunft, sondern vielmehr einen übernationalen Rechtsakt der Besatzungsmächte in Deutschland, der dem niedergeworfenen Gegner auferlegt wurde und der den siegreichen Regierungen die Ausübung der Souveränitätsrechte übertragen hat.

Halten die Anordnungen des Potsdamer Abkommens den allgemeinen Pri[n]zipien des positiven Rechtes stand? Sie stehen im Gegensatz zum Artikel 13 § 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, welcher festlegt:

"Jedermann hat das Recht, jedes Land zu verlassen, eingeschlossen das Seinige, und in sein Land zurückzukehren." Sowie mit Artikel 15 § 2, welcher verkündet:

"Niemand darf willkürlich seiner Nationalität beraubt werden, auch nicht des Rechtes, seine Nationalität zu wechseln." [23]

Es liegt also nach dem Wortlaut dieser Texte eine offenkundige Verletzung der Urkunde der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor. Aber diese Erklärung ist jünger als das Abkommen. Man muß also nachforschen, ob die in den

 

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Artikeln 13 und 15 dargelegten Grundsätze neu sind oder ob sie mit den völkerrechtlichen Regeln übereinstimmen.

Es scheint uns offensichtlich, daß das Heimatrecht und das Nationalitätenrecht nicht erst 1948 entdeckt wurden, sondern sehr wohl vorher bestanden.

Diese Auffassung wird übrigens fast einhellig von den Juristen von Georges Scelle bis zu den erbittertsten Verteidigern der polnischen Thesen, wie Prof. Bogdan Winiarski, Richter am Internationalen Gerichtshof in den Haag, geteilt. Für ihn gibt es eine Verletzung der Artikel 13 und 15. Aber diese Verletzung bestehe nur dem Buchstaben nach, denn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Potsdamer Abkommens bestand erstens die Deklaration nicht, zweitens legalisierte Artikel 107 der Charta der Vereinten Nationen die früheren Vorgänge. [24] Ferner: obwohl Prof. Winiarski im allgemeinen Bevölkerungsumsiedlungen verurteilt, so lehnt er diejenige aus Schlesien nicht ab, denn sie stelle eine besondere, aber notwendige Maßnahme dar. Für ihn sind tatsächlich "Umsiedlungen", [25] obwohl sie grundsätzlich zu verurteilen sind, in Ausnahmefällen gültig. Im Falle Schlesiens würde man sich damit dem Konzept einer überstaatlichen rassischen Staatsbürgerschaft gegenübersehen.

Über den Umweg der Umsiedlung kommt man also dazu, reinstes Nazirecht anzuwenden.

Man erinnert sich daran, daß Hitler am 6. Oktober 1939 proklamierte:

"In dieser Epoche des Nationalitätenprinzips und der rassischen Idee ist es utopisch, sich vorzustellen, daß die Mitglieder eines höher stehenden Volkes ohne Schwierigkeit assimiliert werden könnten." Jetzt ist es die polnische Regierung, welche die Deutschen nicht in den Gebieten tolerieren will, welche sie ihnen genommen hat. [26]

Zufolge der Erklärung des Führers sollten alle Polen weggeschafft werden, denn die Deutschen könnten als höhere

 

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Wesen, obgleich eine Minderheit, nicht mit Polen zusammenleben, welche eine mindere Rasse sind. Nun ist die Umkehrung wahr. Die polnischen Extremisten, die 1946 eine Minderheit sind, wollen nicht mit den Deutschen zusammenleben, die mindere Wesen und mit all den Verbrechen des letzten Krieges beladen sind. Man muß also, zufolge Prof. Winiarski, die Deutschen umsiedeln, um eine Metzelei zu verhüten. Die Umsiedlung wird damit — in diesem Ausnahmefall — statthaft und steht in Übereinstimmung mit dem Völker- und dem internationalen Recht. Winiarski schreibt:

"Das Potsdamer Abkommen entspricht völlig den 15 Verträgen, Konventionen und Abmachungen, die Deutschland zwischen 1939 und 1945 mit der Absicht geschlossen hat, ethnisch Deutsche auf polnischem Gebiet zusammenzuziehen . . . Diese Deutschen waren niemals mit diesen Gebieten verbunden und haben sich dort während des Krieges nur vorübergehend aufgehalten . . . Ohne Zweifel sind dies die Gründe, weshalb die in Potsdam gebilligte außergewöhnliche und schwere Maßnahme von den Signatarmächten als legal entsprechend den Vorschlägen von Dumbarton Oaks, der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte angesehen worden ist." Winiarski verschanzt sich hinter historischen Tatsachen und einem außergewöhnlichen Geisteszustand, um zu versuchen, diese Austreibungen zu rechtfertigen. Was ein wahrhaftes Genocidium war, wie Professor Scelle es so klar zeigt, wird so getarnt. Kein doktrinärer Versuch, kein Rechtfertigungsversuch kann hinsichtlich der Austreibung der Schlesier aufrecht erhalten werden. Wir stehen einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegenüber, das die Alliierten begangen haben. Nur ein rassisches Recht könnte — philosophisch und willkürlich ausgelegt — in diesem Punkte die Potsdamer Abmachungen rechtfertigen. Stellt man sie den großen und über jeden Zweifel erhabenen Rechtsprinzipien gegenüber, dann muß man feststellen, daß sie diese verletzen. Sie sind eine Manifestation der Gewalt ohne jeden moralischen Halt und ohne jede rechtliche Begründung.

Überdies muß man an den provisorischen Charakter der Beschlüsse von Potsdam erinnern, das nur ein von den Verhältnissen bestimmtes Abkommen ist.

 

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Wollte man für die Austreibung der Schlesier im Artikel 107 der Charta der Vereinten Nationen einen juristischen Deckmantel finden, so müßte man sich gegen eine solche Heuchelei wenden.

Der Artikel 107 dieser Charta besagt tatsächlich, daß es gegenüber den Alliierten kein Verbot für irgendeine Maßnahme gibt, welche durch die Regierungen, die die Verantwortung für diese Maßnahme tragen, im Verlauf dieses Krieges durchgeführt oder veranlaßt wurde.

Dieser Beschluß datiert, wie die Charta selbst, vom 26. Juni 1945 und ist am 24. Oktober desselben Jahres in Kraft getreten. [27]

Die umfassenden Austreibungen, an die wir erinnert haben, fanden nach 1945 statt. Zuzulassen, daß ein Verbrechen nur dann ein Verbrechen ist, weil es vom Gegner begangen wurde, ist ein[e] unwürdige Einstellung.

Die Polen selbst beziehen diese Stellungnahme nicht. Zahlreich würden die darüber entrüsteten polnischen Stimmen sein, wenn sie frei geäußert werden könnten.

In einem in der "Revue de Droit International Public" [28] unter dem Titel « Les Frontières de l'Oder-Neiße » veröffentlichten Artikel analysiert Prof. Skubieszewski die verschiedenen Theorien, welche von seinen Kollegen ausgearbeitet wurden, um eine Rechtfertigung des Potsdamer Abkommens zu versuchen. Dieser späte Artikel zeigt selbst, wieviel polnische Juristen die Fragwürdigkeit ihrer Position fühlen. Professor Skubieszewski, der die juristische Argumentation seiner Kollegen aufgibt, beschränkt sich auf die Folgerung, daß die Deportation im Hinblick auf ein dadurch vermiedenes Massenblutbad das kleinere Übel gewesen sei.

Das Statut des Internationalen Gerichtshofes, der in Nürnberg die führenden Persönlichkeiten des Dritten Reiches verurteilt hat, nennt ausdrücklich in seinem Artikel 6 unter der Aufzählung der Kriegsverbrechen, welche bestraft werden sollen:

". . . die Deportation der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten zur Zwangsarbeit oder für alle anderen Zwecke . . ."

 

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Dieses Statut ist in Ausführung der Londoner Übereinkunft vom 8. August 1945 geschaffen worden. Wenn sich die führenden Nazis unter Berufung auf den Grundsatz vergeblich zu schützen versucht haben, daß es keine Strafe ohne Gesetz gebe und daß derartige Verbote in keinem Teil des positiven Rechtes bestünden, dann haben die Alliierten, welche nach der öffentlichen Verkündigung ihrer eigenen Gesetze bewußt derartige Handlungen begangen haben, noch weniger Entschuldigungen.

Frankreich hat auch in diesen Zeiten der Erregung und Leidenschaft mehr als jedes andere Land die Meinungsfreiheit zu wahren gewußt. Die zuständigsten französischen Stimmen haben sich gegen derartige verbrecherische Taten gewandt. Sie zu vernehmen, ist tröstend. Nach Jean de Pange, Robert d'Harcourt, François Mauriac — um nur diese zu nennen — hat sich René Pinon, Professor an der École des Sciences Politiques, zum Verteidiger der unterdrückten Bevölkerungen gemacht. Er schreibt:

"Die polnische Propaganda hat versucht, für diese Annexion deutscher Gebiete durch Polen historische Argumente zu finden. Es ist überflüssig, sich mit einer Erörterung der Vorgeschichte aufzuhalten. Der frei zum Ausdruck gebrachte Wille der Einwohner ist der einzige gewichtige Grund in den Augen des Völkerrechts, so wie es von den zivilisierten Ländern verstanden und gelehrt wird. Niemals haben die Einwohner Königsbergs gefordert, Russen zu werden; niemals haben weder die Bauern, noch die Städter in Ostpreußen, Pommern und Schlesien — in den Grenzen des Vertrages von 1919 — gefordert, Polen zu werden. Die Annexionen von 1945 stellen — sofern sie endgültig werden — ein Attentat auf das Selbstbestimmungsrecht dar, das für alle zivilisierten Länder unantastbar sein sollte. [29]

Präsident Schuman hat von einer hohen Warte aus, die nicht überraschen wird, seinerseits darauf hingewiesen, daß derartige Verfahren die Probleme auf dem politischen und diplomatischen Schachbrett nicht beseitigen, die angewandt wurden, um bestimmte Gebiete des alten Deutschland frei von Deutschen zu machen. Er schreibt:

 

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"Aus psychologischen Gründen kann man nicht erwarten, daß eine deutsche Regierung formell und endgültig auf eine Rückkehr der Ostgebiete verzichtet. Frankreich hat nach dem Vertrag von Frankfurt, den es unterzeichnen mußte, die Abtrennung von Elsaß und Lothringen geistig niemals hingenommen, was nicht heißt, daß es die Absicht hatte, für ihre Wiedergewinnung einen Krieg zu führen. Aber man hielt die Hoffnung auf eine Rückkehr wach. Die Deutschen werden nicht anders handeln, als wir es getan haben . . . Es ist deshalb vom Standpunkt der deutschen Regierung nicht unvernünftig, einerseits die deutschen Vertriebenen aus dem Osten zu ermutigen, die Hoffnung zu bewahren, eines Tages zurückkehren zu können, andererseits die Verpflichtung zu übernehmen, keinen Krieg zur Rückgewinnung dieser Gebiete zu führen." [30]

Es steht heute juristisch und historisch fest, daß ein Rechtsbruch kein Recht hervorbringen kann, so daß man fast sicher sein kann, eines Tages wird die Zuteilung Schlesiens an Polen, welche nach dem Potsdamer Abkommen — und solange ein Friedensvertrag keine Änderung gebracht hat — nur einen provisorischen Charakter hat, in Frage gestellt werden. Die deutschen Schlesier — daran sollen wir nicht zweifeln — werden immer daran denken, auch wenn sie wenig davon reden.

 

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Anmerkungen

[1]

La Revue des Deux Mondes, 15. Mai 1952, S. 374.

[2]

Erklärung vom 1. März 1947, in: Documentation Française, 7. August 1947, S. 15.

[3]

Morawicki Wajeiech, 1949.

[4]

Congrès de Droit Pénal 1947. Documentation Polonaise. "Le Droit au Service de la Paix".

[5]

Frank Mank: The Legacy of Nazism, S. 56.

[6]

Rey Malara: La Pologne d'une occupation à l'autre, S. 95.

[7]

Lane: J'ai vue la Pologne trahie, S. 64, 70.

[8]

Annuaire statistique 1947. Warschau: Office [c]entral des statistiques.

[9]

Congrès de Droit Pénal 1947 « Le Droit au Service de la Paix » Revue de Droit International. Service polonais pour la recherche des criminels de Guerre. Publication Nr. 4, S. 36.

[10]

Schwoebel: Pologne vivante. Hrsg. Amitié Franco-Polonaise. S. 33.

[11]

Le Monde Illustré, 8. Sept. 1945.

[12]

Men without the rights of Men. Ed. by Committee against Mass Expulsion. New York.

[13]

Articles et Documents, Nr. 356 u. 385, November 1947.

[14]

Congrès de Droit Pénal. Service polonais pour la recherche de criminels de Guerre. S. 57.

[15]

Doc. catholique, Nr. 960 vom 17. November 1945.

[16]

France-Illustration vom 3. Mai 1947.

[17]

Revue de Paris vom Dezember 1947.

[18]

Les problèmes de la sauvegarde de la Paix et la liquidation des suites de guerre du point de vue du droit polonais. Publication No. 2, S. 29, 48.

[19]

European Population Transfers, Oxford 1946. S. 24 u. 467.

[20]

Les transferts internationaux de populations. Presses Universitaires de France. 1946.

[21]

Annuaire de l'Institut de Droit International. Session de Sienne 1952. S. 178-180.

[22]

Annuaire de l'Institut de Droit International. Session de Sienne 1952. S. 192.

[23]

Déclaration Universelle des Droits de l'Homme, Assemblée générale des Nations Unies. Paris, 10. Dezember 1948.

[24]

Annuaire de l'Institut de Droit International. Section de Sienne 1952. S. 190.

[25]

Wir verwenden hier den Terminus, der von den Alliierten offiziell gebraucht wurde. Tatsächlich handelt es sich um eine echte Deportation.

[26]

In Wirklichkeit sind die Polen, die einem Zusammenleben mit den Deutschen zustimmen würden, sehr zahlreich.

[27]

Die Charta wurde von der Mehrheit der Signatarstaaten sehr bald ratifiziert.

[28]

Revue de Droit International Public, Juni-Juli 1957.

[29]

Le Destin de la Pologne. In: Revue des Deux Mondes vom 15. Sept. 1952.

[30]

Sonderinterview mit Robert Schuman, in: Réalités, Nr. 96 v. Januar 1954.

 

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